Nein, die vom Diogenes-Verlag zusammengestellten „Geschichten zum Wachwerden“ sind nichts für moderne Kaffee-Hipster. Wer sich Tipps erhofft für Röststärken und Mahlgrade, den fluffigsten Milchschaum und wie sich Herzchen, Tannenbaum oder andere Motive am leichtesten darin abbilden lassen, braucht das Buch gar nicht erst in die Hand zu nehmen. Und auf gute Ratschläge, ob nun Sorten aus dem äthiopischen Hochland oder doch lieber Südamerika vorzuziehen seien, verzichtet   das Buch völlig. Natürlich war Kaffee schon immer eine Lebensform und schon lange treiben Menschen mit dem Getränk ihren Kult. Aus dem Grund muss man das „Traktat über das Wiener Kaffeehaus“ von Friedrich Torberg unverzichtbar nennen. Aber schon der Torberg-Klassiker beweist, dass dieser Kult lange Zeit weniger selbstvergessen und Bohne um Bohne betrieben wurde als heute, sondern in bestimmten Milieus. „Ein Stammgast des ‚Central‘ oder des ‚Herrenhof‘ hätte sich im ‚Museum‘, dem Kaffeehaus der Maler so fremd und verlassen und ausgestoßen gefühlt wie ein Stammgast des Musikercafès ‚Parsifal‘ im Journalistencafè ‚Rebhuhn‘“, betont Torberg. Kaffee war (und ist in manchen Fällen immer noch) der Treibstoff für große und kleine soziale Schauspiele – man denke nur wie Shelly Kupferberg in „Die Bar“ an Italien. Julian Symons treibt das Phänomen in „Kaffee für drei“ auf die Spitze (oder besser: den Löffel), wo eine Tasse Kaffee als Mordwerkzeug dient. Weil Miss Lucile Bailey ihre Rolle als Gesellschafterin der exzentrischen und übellaunigen Margaret Hendry gründlich satthat, kippt sie ihr Zyanid in den Kaffee, um an 5000 Pfund zu kommen …

Nein, für Baristas und selbst ernannte Kaffee-Sommeliers bietet das Buch wirklich nichts Neues, nicht einmal Bilder in warmen oder cremefarbigen Tönen. Aber wer seinen Kaffee mit der nötigen Selbstironie trinkt, dem erschließt es das eine oder andere literarische Aroma.

Christian Wanninger

Pressesprecher der Stadt Erding