Wie schön, dass Philippe Claudel keine Ratgeber-Literatur verfasst! Denn sonst schriebe er mit dem dafür typischen Hang zu Reflexion, Schwermut und einfachen Merksätzen über den Krebs-Tod des besten Freundes – und was tust du in dem Fall als genussvoller Leser? Genau: das Buch nach Lektüre des Klappentextes weglegen. Im Roman von Claudel dagegen steht Rotwein auf dem Tisch, als sich die Freunde zum ersten Mal nach der schlimmen Diagnose treffen („Eugène und ich haben beim Essen viel gelacht. Ein bisschen zu viel. Auch zu viel getrunken“). Bei Claudel dagegen gerät der sterbenskranke Eugène nur wenige Wochen vor dem Tod fast in Ekstase, weil er in einem Cafè zufällig seinem literarischen Idol begegnet. Überhaupt hat der schwer belesene Eugène eine interessante Beziehung zu Büchern: „Sobald er ein Buch gelesen hatte, verschenkte er es oder ließ es auf einer Bank, im Zug oder auf einem Tisch im Cafè liegen. ‚Ein Buch muss zirkulieren wie die Welt‘“. In der „Kostbarkeit des flüchtigen Lebens“ hat sich der Ich-Erzähler von seiner Frau Florence scheiden lassen, geht aber trotzdem regelmäßig mit ihr essen – und ins Bett. („Unsere Trennung und Scheidung hat nie das Ende unserer Beziehung bedeutet.“) Und der etwa 50-jährige Ich-Erzähler verliebt sich nur wenige Wochen nach dem Tod des Freundes in eine 20 Jahre jüngere Frau und wird Vater. In dem Zusammenhang trifft es sich allerdings gut, dass seine Ex Florence am Ende des Buchs mit ihrem zweiten Mann nach Sao Paulo geht. Im Ernst: Das ganze Chaos menschlicher Existenz um Liebe, Tod, Geburt und andere komplexe Themen wie Demenz, technischen Fortschritt oder die Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer jenseits von Klischees, Kitsch und stattdessen geistreich zu behandeln, genau darin liegt der Reiz des nur knapp 200 Seiten dicken Buchs. Und genau darum ließe sich sein Inhalt nicht besser als die „Kostbarkeit des flüchtigen Lebens“ zusammenfassen.
