Auf den ersten Blick haben „Der alte Mann und das Meer“ herzlich wenig mit einer Urlaubslektüre zu tun – vom Schauplatz, der kubanischen Küste, und dem damit verbundenen herrlichen Wetter einmal abgesehen. Denn Fischer Santiago fristet ein mehr als bescheidenes Dasein und 84 Tage ohne vernünftigen Fang verschärfen die Lage noch. Am 85. Tag schlägt das Glück zunächst zu, der Alte fängt und erlegt einen Fisch, „so groß kann er gar nicht sein“. Weil das sage und schreibe rund fünfeinhalb Meter lange Tier mit dem Haken im Maul Fischer samt Boot jedoch weit ins offene Meer zieht, bleiben Santiago bei der Heimkehr buchstäblich nur die Gräten: „… und einer stand mit aufgerollten Hosen im Wasser und maß das Skelett mit einem Stück Leine“. Haie fraßen dem Alten den am Boot befestigten Fang ab, obwohl er seine Beute heldenhaft verteidigte und vier der widerlichen Viecher nur mit Harpune, Messer oder Keule tötete. Drei Tage und zwei Nächte pure Knochenarbeit und praktisch ohne Schlaf für nichts.
Natürlich hat Hemingway hier eine 90 Seiten lange Ode auf Mut, Ausdauer und Freundschaft (ein Nachbarsjunge kümmert sich um Santiago) geschrieben. Aber gerade wer sich in den kommenden Wochen an irgendeinem Strand die Sonne auf die Haut brennen lässt, Fisch nur gegrillt auf dem Teller liegen sieht und nicht weiß, ob er als nächstes Muscheln sammeln, ein Eis essen oder doch von einem kitschigen pinken Badedrachen ins Wasser rutschen soll, könnte über dem alten Mann ins Grübeln kommen. Braucht es im Urlaub (oder im Leben überhaupt) so viel Überfluss an Essen, Trinken, Vergnügungen? Muss der leiseste Anflug von Anstrengung bedeuten, sofort die Flinte ins Korn zu werfen? Der Titelheld ist da glücklicher. Am Ende heißt es: „Der alte Mann in seiner Hütte oben an der Straße schlief. Er schlief immer noch mit dem Kopf nach unten und der Junge saß neben ihm und gab auf ihn acht.“