Agatha Christie: Karibische Affäre
Nichts läge dieser Kolumne ferner als irgendjemandem den Urlaub zu vermiesen – schon gar nicht eine vielleicht in Kürze anstehende Karibikreise. Doch das Zeug dazu hätte der in einem feinen Hotel auf Trinidad spielende Miss-Marple-Krimi angesichts von drei zum Teil brutalen Morden. Außer von der paradiesischen Idylle sollten sich Leserinnen und Leser der britischen Kult-Autorin überhaupt von jeder Menge Klischees verabschieden, zuallererst von denen der legendären Verfilmungen aus den 1960er Jahren mit Margaret Rutherford in der Hauptrolle und der darin propagierten britischen Förmlichkeit. Denn bereits im 1964 erschienenen Buch trägt die Hobby-Detektivin Turnschuhe: „Die mochten zwar nicht sehr elegant sein, passten aber ideal zum Klima, waren bequem, und ihre Füße hatten viel Platz darin.“ En vogue also!
Zwar bescheinigt ein anderer Gast Miss Marple, „sie sind ungefähr hundert“, doch der steht kurz vor dem (natürlichen) Ableben und ist entsprechend missgünstig. Aus heutiger Sicht muss man sich die Detektivin als fitte Oma vorstellen und würde ihre Rolle wohl mit Judi Dench (graue Kurzhaarfrisur und bekannt als „M“ aus den Bond-Filmen) besetzen, wäre die nicht auch schon über 90. Für ihre Fitness spricht weiter, dass sich Jane Marple in einer Szene erstaunlich behände unter ein Fenster wirft, um unentdeckt einen Verdächtigen zu beobachten. Außerdem spielen in der „Karibischen Affäre“ Sex and Crime eine deutlich größere Rolle als in den Filmen. Das beginnt bei heftigen Leidenschaften als Motive für die Verbrechen und endet beim Nachdenken über die sexuelle Frustration junger Menschen. Dem Aufbruch der 1960er Jahre konnte sich also selbst eine Institution wie Agatha Christie nicht entziehen.
